Historische Putze und Farben: Kalk, Leim und Silikat im Denkmalschutz
25 Nov
von Antoinette Adam 0 Kommentare

Warum alte Häuser nicht mit moderner Farbe gestrichen werden sollten

Stellen Sie sich vor, Sie renovieren ein altes Haus aus dem 19. Jahrhundert. Der Putz ist rau, die Wände atmen, und die Farbe ist abgeblättert. Was tun? Die meisten würden heute einfach eine Dispersionsfarbe aus dem Baumarkt nehmen - schnell, bunt, einfach. Doch genau das zerstört das Gebäude. Denn moderne Farben sind wie Plastikfolie auf Stein: Sie versiegeln, halten Feuchtigkeit fest und lassen die Wände nicht mehr atmen. Das Ergebnis? Schimmel, Salzausblühungen, und am Ende ein kaputter Putz. Die Lösung liegt nicht in der Neuzeit, sondern in der Vergangenheit: Kalk, Leim und Silikat.

Diese Materialien sind keine Nostalgie-Mode. Sie sind die einzigen, die seit Jahrhunderten funktionieren - und das mit einem Vorteil, den moderne Farben nie haben: Sie verbinden sich mit dem Stein. Sie werden Teil der Wand. Sie regulieren die Luftfeuchtigkeit, verhindern Schimmel und lassen das Gebäude leben. In der Denkmalpflege ist das kein Luxus - das ist Pflicht.

Kalkfarbe: Die sanfte Atmung der Wände

Kalkfarbe ist die älteste Wandfarbe der Menschheit. Höhlenmalereien aus der Steinzeit nutzten Kalk mit Milcheiweiß - ein Mix, den auch Michelangelo später für seine Deckengemälde verwendete. Heute wird sie aus Kalkhydrat und Wasser hergestellt. Keine Kunstharze, keine Lösungsmittel, kein Plastik. Nur Mineralien.

Was sie besonders macht? Ihre Diffusionsoffenheit. Kalkfarbe lässt Wasserdampf passieren - bis zu 100 µ-Werte und mehr. Das bedeutet: Wenn die Luft feucht ist, saugt sie Feuchtigkeit auf. Wenn sie trocken ist, gibt sie sie wieder ab. Kein Schimmel, kein Kondenswasser an den Wänden. Das ist besonders wichtig in alten Häusern mit massiven Mauern, die nie für moderne Isolierung gebaut wurden.

Aber sie hat auch Nachteile. Kalkfarbe hat keine starke Deckkraft. Oft braucht man zwei, drei Anstriche, bis die Wand gleichmäßig aussieht. Sie ist nur wischfest - kein Kratzer, kein Staubsauger, kein rauer Lappen. Und sie ist empfindlich gegenüber Säuren. Regenwasser mit hohem CO₂-Gehalt kann sie langsam abbauen. Deshalb ist sie eher für Innenräume geeignet. Auf Fassaden hält sie nicht lange.

Die Optik ist einzigartig: weich, matt, mit einem lebendigen Tiefenlicht. Keine glatte, künstliche Oberfläche. Es wirkt, als ob die Farbe aus dem Stein selbst kommt. Das ist der Grund, warum sie in historischen Räumen, Kirchen und Museen immer noch verwendet wird.

Silikatfarbe: Die chemische Verbindung mit dem Stein

Im Jahr 1878 patentierte Adolf Wilhelm Keim das Verfahren für Silikatfarbe - und revolutionierte den Denkmalschutz. Seine Farbe basiert auf Kaliwasserglas, auch als Wasserstoffsilikat bekannt. Das ist kein Bindemittel wie bei Dispersionsfarben. Es ist eine chemische Reaktion.

Wenn Silikatfarbe auf mineralischen Untergründen wie Kalkputz, Ziegel oder Beton aufgetragen wird, verläuft eine Verkieselung. Die Silikate im Farbstoff verbinden sich mit dem Siliziumdioxid im Putz. Es entsteht eine neue, feste, mineralische Schicht - nicht auf, sondern in der Wand. Das ist die Grundlage für ihre extrem hohe Haltbarkeit: 20 bis 30 Jahre auf Fassaden, ohne Abblättern, ohne Risse, ohne Schimmel.

Silikatfarben sind abriebfest, witterungsbeständig und widerstandsfähig gegen UV-Strahlung. Sie eignen sich perfekt für historische Fassaden, die dem Wind, Regen und Frost ausgesetzt sind. Und sie haben einen weiteren Vorteil: Der hohe pH-Wert von 11 bis 13 tötet Schimmelsporen ab. Das ist kein chemischer Zusatz - das ist die Natur der Substanz selbst.

Aber: Sie haftet nur auf mineralischen Untergründen. Auf alten Dispersionsanstrichen, Holz oder Gipskarton funktioniert sie nicht. Der Untergrund muss sauber, trocken und rein mineralisch sein. Und die Verarbeitung ist anspruchsvoll: Sie ist ätzend. Handschuhe und Schutzbrille sind Pflicht. Die Trocknungszeit ist länger - die chemische Reaktion braucht Zeit. Aber das Ergebnis ist dauerhaft. Kein anderes System hält so lange ohne Erneuerung.

Hersteller wie Keim, Beeck und Sol-Silikatfarben von der van Baerle-Gruppe dominieren diesen Markt. Moderne Formulierungen haben die Farbpalette erweitert - aber immer noch nur mit alkalibeständigen Pigmenten. Kräftiges Rot, Türkis oder Violett sind nicht möglich. Die Farben sind natürlich, erdig, gedämpft. Und genau das ist ihr Charme: Sie passen sich dem Alter der Fassade an, statt sie zu überdecken.

Handwerker trägt Silikatfarbe auf eine steinerne Fassade auf, chemische Bindung sichtbar.

Lehmfarbe: Die Wohlfühl-Oberfläche

Lehmfarbe ist die sanfteste der drei. Sie besteht aus Tonmineralen, Wasser und manchmal etwas Leim oder Kalk als Bindemittel. Sie ist nicht nur ökologisch - sie ist lebendig. Lehm kann Feuchtigkeit speichern und abgeben, reguliert die Raumtemperatur und bindet Schadstoffe aus der Luft.

In historischen Gebäuden mit Lehmputz ist sie die natürliche Wahl. Sie verhält sich wie die Wand selbst. Sie ist besonders gut für Innenräume mit niedriger Luftfeuchtigkeit, wie Schlafzimmer oder Wohnzimmer. Viele Menschen berichten von einem beruhigenden Effekt - ein „Wohlfühlfaktor“, den moderne Farben nicht bieten.

Aber sie hat klare Grenzen. Lehmfarbe ist nicht abriebfest. Sie kratzt leicht ab, wenn man sie mit einem Staubsauger oder einem harten Tuch bearbeitet. Und sie ist wasserlöslich. Keine Küche, kein Badezimmer, kein Flur mit hohem Feuchtigkeitsgrad. Sie ist für trockene, warme Räume gemacht.

Im Denkmalschutz wird sie besonders bei historischen Lehmwänden eingesetzt - oft in Kombination mit Lehmputz. Sie ist die einzige Farbe, die die ursprüngliche Oberfläche nicht verändert. Wenn man sie abwischt, bleibt der Lehm sichtbar. Sie verändert sich mit der Zeit - und das ist kein Fehler, das ist ihre Natur.

Wann welches Material? Der Praxis-Leitfaden

Welche Farbe passt zu Ihrem Haus? Es gibt keine allgemeine Antwort. Aber es gibt klare Regeln.

  • Ältere Fassaden mit Zementputz? Wählen Sie Silikatfarbe. Je mehr Zement im Putz ist, desto besser ist Silikat. Das sagt Dr. Robert Linke von der TU Wien. Silikat verbindet sich mit dem Zement und macht die Fassade dauerhaft widerstandsfähig.
  • Lehmputz in Innenräumen? Lehmfarbe oder Kalkfarbe. Beide sind ideal. Lehmfarbe für mehr Wohlfühlfaktor, Kalkfarbe für etwas mehr Abriebfestigkeit.
  • Alte Dispersionsfarbe auf der Wand? Keine Silikatfarbe. Keine Kalkfarbe. Entfernen Sie die alte Farbe komplett - oder wählen Sie eine spezielle Sol-Silikatfarbe, die auch auf schwierigen Untergründen haften kann.
  • Feuchte Räume wie Badezimmer? Nur Silikatfarbe. Lehmfarbe ist tabu. Kalkfarbe ist möglich - aber nur, wenn die Wand perfekt trocken ist und gut belüftet wird.

Ein Tipp für Anfänger: Beginnen Sie mit Kalkfarbe. Sie ist einfacher zu verarbeiten, toleranter gegenüber kleinen Fehlern und lässt sich leicht nacharbeiten. Silikatfarbe ist professionell. Sie braucht Erfahrung. Wer sie falsch aufträgt, hat eine beschädigte Wand - und keine zweite Chance.

Warum diese Farben heute wieder wichtig sind

Die Nachfrage nach natürlichen Baustoffen steigt. In den letzten fünf Jahren ist sie laut Bauhandwerk.de um 15 Prozent pro Jahr gewachsen. Warum? Weil Menschen merken: Chemie macht krank. Dispersionsfarben enthalten Lösungsmittel, Weichmacher, Konservierungsmittel. Sie geben diese Stoffe jahrelang ab - besonders in geschlossenen Räumen.

Kalk, Leim und Silikat tun das nicht. Sie sind nicht nur umweltfreundlich - sie sind gesund. Sie enthalten keine Kunststoffe, keine Viskositätsregler, keine Duftstoffe. Sie sind für Allergiker, Kinder und Menschen mit Atemwegserkrankungen die einzige sichere Wahl.

Und im Denkmalschutz? Ohne sie wäre die Erhaltung alter Gebäude unmöglich. Moderne Farben zerstören die Substanz. Historische Farben bewahren sie. Sie erlauben es, ein Haus zu renovieren - ohne es zu verfälschen. Sie sind die einzige Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft.

Die Hersteller wie Kreidezeit, Keim oder Beeck haben die alten Rezepte nicht nur bewahrt - sie haben sie verbessert. Mit modernen Pigmenten, präziser Dosierung und besseren Verarbeitungshilfen. Aber die Chemie bleibt die gleiche: Mineralien, die mit Stein verwachsen.

Drei natürliche Baustoffe — Kalk, Silikat, Lehm — verschmelzen mit einer historischen Mauer.

Was Sie beim Kauf beachten müssen

Nicht alles, was „natürlich“ sagt, ist es auch. Viele Produkte auf dem Markt enthalten trotzdem Kunstharze oder Füllstoffe. Prüfen Sie die Zutatenliste: Wenn „Acryl“, „Vinyl“ oder „Polymer“ draufsteht, ist es keine echte Kalk-, Leim- oder Silikatfarbe.

Suchen Sie nach:

  • Kalkhydrat (für Kalkfarben)
  • Kaliwasserglas (für Silikatfarben)
  • Lehm (für Lehmfarben)

Und achten Sie auf die Hersteller: Keim, Beeck, Sol-Silikat, Kreidezeit - das sind die echten. Kleine Bio-Hersteller sind oft genauso gut - aber fragen Sie nach der Zusammensetzung. Kein Hersteller sollte Angst haben, die Inhaltsstoffe zu nennen.

Preise? Sie liegen höher als bei Dispersionsfarben - aber dafür halten sie 3 bis 5 Mal länger. Ein Anstrich mit Silikatfarbe kostet mehr - aber Sie brauchen ihn in 25 Jahren nicht wiederholen. Das ist keine Investition - das ist eine Einsparung.

Die falsche Wahl - und was dann passiert

Ein häufiger Fehler: Man streicht eine alte Fassade mit Dispersionsfarbe, weil sie „einfacher“ ist. Was passiert? Die Feuchtigkeit bleibt im Mauerwerk. Der Putz blättert ab. Schimmel wächst hinter der Farbe. Nach fünf Jahren ist die Fassade kaputt. Und dann muss man alles abhauen - teuer, staubig, umweltschädlich.

Ein anderer Fehler: Man nimmt Silikatfarbe auf einen nicht mineralischen Untergrund. Die Farbe haftet nicht. Sie blättert ab. Und dann glaubt man, die Farbe sei schlecht - dabei war es der Untergrund.

Die Lösung? Immer erst den Untergrund analysieren. Ist er mineralisch? Ist er saugfähig? Ist er trocken? Wenn nicht - dann vorbereiten. Reinigen. Entfernen. Sanieren. Erst dann streichen.

Und vergessen Sie nicht: Schutzausrüstung. Kalk und Silikat sind ätzend. Keine Haushaltshandschuhe. Kein T-Shirt. Schutzhandschuhe, Schutzbrille, Atemschutz. Das ist kein Extra - das ist Pflicht.

Kann ich Silikatfarbe auf Kalkputz auftragen?

Ja, das ist sogar ideal. Silikatfarbe haftet perfekt auf mineralischen Untergründen wie Kalkputz, Ziegel oder Beton. Sie verbindet sich chemisch mit dem Putz und bildet eine dauerhafte, witterungsbeständige Schicht. Das ist der Hauptvorteil von Silikatfarbe - sie wird Teil der Wand.

Ist Kalkfarbe für Badezimmer geeignet?

Nur bedingt. Kalkfarbe ist atmungsaktiv und hemmt Schimmel durch ihren hohen pH-Wert. Aber sie ist nicht wasserfest. In Badezimmern mit starker Feuchtigkeit und schlechter Belüftung kann sie nach einiger Zeit abblättern. Besser ist Silikatfarbe. Wenn Sie Kalkfarbe verwenden wollen, müssen Sie eine sehr gute Lüftung haben und die Wände regelmäßig trocknen lassen.

Warum sind Silikatfarben teurer als Dispersionsfarben?

Silikatfarben sind teurer, weil sie aus hochwertigen Mineralien bestehen und die Produktion aufwendiger ist. Aber sie halten 20-30 Jahre - Dispersionsfarben müssen alle 5-7 Jahre erneuert werden. Langfristig sparen Sie Geld, Material und Arbeit. Außerdem vermeiden Sie Schäden an der Substanz - was bei alten Gebäuden oft viel teurer wäre.

Kann ich Lehmfarbe auf Gipskarton verwenden?

Nein. Lehmfarbe haftet nur auf saugfähigen, mineralischen Untergründen. Gipskarton ist ein chemischer Putz mit Papierbeschichtung. Lehmfarbe kann nicht richtig haften - sie blättert ab. Wenn Sie Lehmfarbe verwenden wollen, müssen Sie zuerst einen Lehmputz auftragen. Oder wählen Sie eine spezielle Lehm-Dispersionsmischung - aber dann ist es nicht mehr reine Lehmfarbe.

Was ist der Unterschied zwischen Kalkkaseinfarbe und normaler Kalkfarbe?

Kalkkaseinfarbe enthält Milcheiweiß als Bindemittel - ein natürliches Eiweiß aus Kuhmilch. Sie ist etwas widerstandsfähiger als reine Kalkfarbe und hat eine leichtere Deckkraft. Sie wurde historisch für Wandgemälde verwendet, etwa von Michelangelo. Heute wird sie selten verwendet, weil sie kurzfristig verderblich ist und eine spezielle Lagerung braucht. Für die Denkmalpflege ist sie aber wichtig - sie ist die authentischste Form historischer Farben.

Was kommt als Nächstes?

Wenn Sie jetzt mit Kalkfarbe beginnen, probieren Sie eine kleine Wand aus - eine Innenecke, eine Treppe, eine Wand im Schlafzimmer. Beobachten Sie, wie sie sich verändert. Wie das Licht darauf spielt. Wie sie die Luft fühlt. Sie werden merken: Das ist nicht nur Farbe. Das ist ein Material, das atmet. Das lebt. Und das hält.

Und wenn Sie eine Fassade sanieren? Dann suchen Sie einen Fachmann mit Erfahrung in mineralischen Farben. Nicht jeder Maler kennt sie. Aber wer sie kennt, kennt auch die Wahrheit über alte Häuser: Sie brauchen keine neue Farbe. Sie brauchen die richtige.

Antoinette Adam

Antoinette Adam

Ich bin Tischlermeisterin mit eigener Werkstatt in Innsbruck und fertige maßgefertigte Möbel und Innenausbauten. Neben meiner Arbeit schreibe ich gerne über immobilienbezogene Themen aus handwerklicher Perspektive. Ich liebe es, technische Details verständlich zu erklären.

Tischlerei Innentüren Einblick